Mann verlässt wohnung mit Koffer
|

Blogroman 3

Sie atmete mehrfach tief durch, um sich zu beruhigen und schlich in das große, gemütliches Wohnzimmer zurück. Wie immer hielt sie in der Tür inne, lehnte sich an den Rahmen und ließ den Blick kurz durch den Raum streifen, bevor sie hineinging. Sie durfte jetzt nicht die Nerven verlieren. „Bloß nicht heulen, Jana! Du darfst dich nicht jedes Mal davon fertig machen lassen. Lenk dich ab, schau dir dein Wohnzimmer an.“ Leicht gedacht, schwer getan.

Wohnungsgestaltung war ein Hobby von ihr. Eins von vielen, ein sehr geliebtes. Aber erst, seit sie und Marlene hier wohnten. Es war das erste Mal, dass sie sich zu Hause fühlte. Angekommen. Dieser Moment, wenn sie den Schlüssel ins Schloss steckte, drehte und hinein ging, war wunderbar. Das Gefühl von Wärme, Herzlichkeit und Liebe. Jedes Detail hier war genau geplant und umgesetzt.

Die Wände waren  sandfarben gestrichen, die Fenster riesig. Vor allem besorgte sie sofort mehrere Pflanzen . Yukka-Palmen von IKEA und kleinere Gewächse für die Fensterbänke. Sie fand, dass Pflanzen in einer Wohnung mehr Atmosphäre und Lebensfreude schafften, als jede andere Verschönerung. Wandtattoos zierten die Tapete, eine weiße Couch lud zum Relaxen ein, ein Schreibtisch stand quer in jener Ecke, wo andere Menschen sicher einen Fernseher stehen hätten. Jana hasste Fernsehen, deswegen gab es keinen. Bilder von Freunden und Familie, eingerahmt im Vintage Look, vollendeten das Bild.

Früher legte sie keinen großen Wert auf Einrichtung, Hauptsache praktisch. Doch seit Marlene da war, verspürte sie das Bedürfnis, ein Nest zu bauen, ein eigenes, persönliches kleines Reich. Es sollte ihren Geschmack widerspiegeln, bunt und gemütlich und herzlich sein. Daraus war ein lieb gewordenes Hobby entstanden: Kein Monat ohne eine neue Dekoration, keine Woche ohne dass Jana sich neue Ideen in ihrem Notizbuch aufschrieb und im Netz nach Inspirationen stöberte. Sie liebte Pinterest, seine Boards und die kreative Vielfalt dort.

Viel Geld besaß Jana nicht, aber sie beschäftigte sich auf Webseiten, bei YouTube Videos und dem Lesen von Büchern damit, wie man viel Wohnlichkeit aus wenig Geld machen konnte. Es gab tolle Dinge zu lernen. Sie liebte es, dazuzulernen. Immer etwas Neues.

“Wahrscheinlich liegt es daran, dass ich mich das erste Mal selber richtig zu Hause fühle“, dachte sie und verspürte wie so oft diese Dankbarkeit. Sie war noch nie so glücklich gewesen. Das Leben hatte ihr schon oft nicht die besten Karten zugespielt. Sie hatte viel erlebt, sehr Schönes und sehr Schlimmes. Dass vieles so gekommen war, wie sie es sich im Inneren immer gewünscht hatte, war Wahnsinn. “Du hast auch hart dafür gekämpft“, sagte sie zu sich selbst. Sie klopfte sich innerlich auf die Schulter. Wenn man keinen hatte, der das sonst tat, musste man das ab und zu selbst übernehmen.

Es klingelte Sturm. Jana hätte schreien können. Sicher hatte Alex etwas vergessen oder wollte sie noch weiter verletzen. Sie fragte sich nicht zum ersten mal, wie Alex, der sonst so einfühlsame, liebevolle Vater, in seinen “Phasen“ (sie nannte es so) so rücksichtslos sein konnte. Er wusste doch, dass Marlene schlief und wie wertvoll die kleinen Zeitinseln für sie selbst waren.

Doch es war, als wäre ein anderer Mensch bei ihm drinnen eingezogen und dieser liebenswerte, kluge, humorvolle Kerl, gutaussehend auf eine dunkle Art, dafür spurlos verschwunden.

“Ich habe meinen Tabak vergessen“, blaffte er sie an und wollte an ihr vorbei in die Wohnung. Seine dunkelbraunen Augen funkelten in einer ungesunden Weise. Riesig war er, fast zwei Meter groß. Jana wirkte dagegen mit ihren 1,59 wie eine Zwergin.


Sie stellte sich ihm in den Weg, schaute ihm gerade in die verzweifelten Augen und sagte ruhig: “Du riechst nach Bier. So kommst du hier nicht rein. Ich hole deinen Tabak.“


Er funkelte sie böse an, widersprach aber nicht. Jana wusste, dass er völlig harmlos war. Sie zwang sich, ganz ruhig zu bleiben.
Doch aus Erfahrung wusste sie, dass jedes weitere Wort nur zu einer Verschlechterung der Lage beitragen würde. Dass sie ihn nicht zu einer Einsicht bewegen würde. Sie war in Nicks Augen im Moment die Böse, ein Monster. Völlig egal, WAS sie sagen oder tun würde. Seine Stimmen sagten es ihm – und er hörte auf sie. Ob sie Verständnis zeigen, ihn einfach umarmen oder ihn anschreien würde: Sie hatte alles versucht, wirklich alles.

Er war nicht zu erreichen. Es war wie in dem Lied von Christina Stürmer “ Engel fliegen einsam“: Du bist der König deines dunklen Königreichs, doch du hast keine Macht. (Nicht mehr. Nicht über mich, denn ich kann allein sein….)“

Similar Posts

Leave a Reply

Your email address will not be published. Required fields are marked *